Ein gekreuzigter Jesus, der, statt auszubrechen in den Verzweiflungsschrei "Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen" (Markus 15,34), trotzig den Stinkefinger gen Himmel reckt? Ralf Kopp hat seine eigene Sicht auf die Szene auf Golgatha in bisher zwölf fotografischen Variationen entwickelt - zweifellos ein work in progress. Die Hand, die sich von Kreuzbalken und Nagel losgerissen hat, formuliert nacheinander Schwurhaltung, Victory-Zeichen, geballte Faust, Feige, Satanistengruß und manches mehr. Während ihr das rote Blut aus dem Wundmal im Handteller übers Gelenk rinnt, in schockierendem Kontrast zum milchigen Blau ringsum. Will Ralf Kopp schocken? Liegt ihm daran, mit kleinen Blasphemien engherzige Auffassungen von Frömmigkeit zu provozieren? Auf den ersten Blick mag das so sein. Dann wären Jesu Gesten, denen, ob politisch oder obszön, sämtlich eine rebellisch-subversive Botschaft innewohnt, gerichtet womöglich gar nicht so sehr gegen Gott, die Römer und die Juden, die Ungläubigen insgesamt, sondern gegen - die Kirche, die über die Jahrhunderte hinweg die Heilandsgestalt zunehmend verniedlicht und eindimensional gemacht hat.
Doch der Foto- und Videokünstler aus Darmstadt, in dessen Schaffen es schon seit einer Zeit darum geht, Kreuz und Kruzifixus wieder auf den Boden der alltäglichen Wirklichkeit zurückzuholen, stößt mit der Serie einen noch weiteren Horizont auf. Was immer der - wesentlich außerhalb des Bildes bleibende - Jesus mitzuteilen hat, es addiert sich tendenziell zu einem Signalsystem. Gebärdensprachen sind ebenso alt wie weit verbreitet: wer in seiner Kindheit Wildwestromane gelesen hat, weiß daß die nordamerikanischen Indianer sich bestens darauf verstanden. Aber auch Sportler, Soldaten, Autofahrer, Jugendgangs verständigen sich in bestimmten Situationen über Handzeichen, dazu diverse Geheimgesellschaften. Vom Kommunikationssystem der Taubstummen gar nicht zu reden. (Nebenbei bemerkt, gibt es besonders in der Ikonographie der buddhistischen, aber auch der christlichen Kunst eine differenzierte Symbolik unterschiedlicher Handgesten.) Es liegt in Ralf Kopps Fotoserie also etwas ausgesprochen Universales, über das bekannte Golgatha-Geschehen Hinausweisendes. So ließen sich die Handzeichen lesen als Zeichen des ungebrochenen Selbstbehauptungs- und Mitteilungswillens der Völker der Welt, die doch alle schon irgendwann von der Geschichte ans Kreuz geschlagen worden sind.
© Dr. Roland Held, Darmstadt 2011
Lambda-Print
66 x 100 cm
2011